Basajaun – Teil 1: Julia

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Sonntag morgen in Vitoria/Gasteiz kurz vor 8 auf dem Marktplatz. Rund 250 Radfahrer*Innen treffen sich dort, um um 8 Uhr beim Basajaun zu starten. Mittendrin Flo, Alex und ich. Unsere Räder sind mit Taschen gepackt, die hoffentlich alles enthalten, was wir für die kommenden 809 Kilometer brauchen werden. Blicke nach rechts und links zeigen, wie unterschiedlich die Räder gepackt sind. Manche fahren wirklich nur mit Minimalgepäck, andere, so wie wir, sind gefühlt vorbereitet auf alle Eventualitäten. Die Meute rollt los – 8km neutralisierter Start. Alex und Flo fahren direkt vorne, ich schwimme im vorderen Drittel mit. Ich sehe, wie Alex als erster in die erste Kurve geht – dann kann also nichts mehr schief gehen!

Die ersten Stunden vergehen wie im Fluge – derTrack lässt sich gut finden und es sind viele Mitfahrer um einen rum. Wenn einer am Rand steht, fragt jeder jeden, ob man helfen könne (was ja, streng genommen, nicht erlaubt ist), aber ich finde es gut, dass hier das miteinander mehr zählt. Ich muss ganz ehrlich sagen, dass ich von den ersten Kilometern kaum eine Erinnerung an die Strecke habe. Ich erinnere mich, dass wir irgendwann auf einem Trail durch einen Wald unterwegs waren, bei dem man auch stellenweise, weil es so steil war, schon wieder schieben musste. Irgendwann war ich dann soweit alleine unterwegs, dass ich vor und hinter mir keine Mitfahrer mehr hatte. Es ging tatsächlich mal auf Asphalt einen Berg in schönen Serpentinen runter. Herrlich! Irgendwo an der Strecke stand dann auch ein Kameramann (der wird gleich noch häufiger auftauchen) und ich hoffte nur, dass ich einfach in Ruhe weiterfahren kann. Naja, so semi. Denn im nächsten Ort am steilen Anstieg steht er natürlich und filmt, wie ich mich abrackere, die Steigung hochzukommen und nicht ganz scheiße aussehen will ?? Es geht weiter, er überholt mich. Im nächsten Ort hat er zum Glück ein anderes „Opfer“ zum filmen gefunden. Da ist einer, der gerade seinen Reifen aufpumpen muss – und das, mit der Kamera im Gesicht. Ich beneide ihn nicht. Ich rolle den Hügel runter und stehe vor Bahngleisen, ohne richtigen Übergang. Der Track will, dass ich dort rübergehe, der Pumper kommt von hinten und sagt, der Kameramann habe gesagt, das sei der richtige Weg. Na dann, wir beeilen uns beide, über die Gleise zu kommen, auch wenn ein nahender Zug nicht absehbar ist. Der Pumper fährt vor aber an einem der nächsten Anstiege hole ich ihn wieder ein und wir fangen zu quatschen an. Es wird sich rausstellen, dass Ini und ich die kommenden Tage viel Zeit miteinander verbringen werden. Aber noch fährt er dann irgendwann wieder schneller und ich sende in die WA-Gruppe einen Hilferuf, weil mein Umwerfer plötzlich zu schleifen anfängt. Zum Glück weiß die Schwarmintelligenz Bescheid, Andi gibt am Telefon klare Instruktionen, was zu tun sei und Ini holt mich hier wieder ein. Ich glaube, ab da fahren wir den Rest mehr oder weniger zusammen. Wie schon geschrieben, die Erinnerung an den ersten Tag ist kaum da.

Es ist sein erstes Rennen dieser Art und obwohl er vom Tempo her schneller ist als ich, bleiben wir zusammen. Im nächsten Ort plündern wir den Brunnen und rollen dann weiter. Es ist mittlerweile Spätnachmittag und nach einer längeren Abfahrt kommt ein Ort, in dem es sogar einen Laden gibt. Aber, nach einem Tag mit hungrigen und durstigen Radfahrern (zusätzlich zu den Pilgern, die hier sonst durchkommen) ist der Laden leergekauft. Und ich muss mit Erschrecken feststellen, dass ich mein Portemonnaie verloren habe. Aber irgendwie habe ich Dusel, ich werde in die WA-Gruppe der Fahrer aufgenommen, setze meine Frage, ob wer mein Portemonnaie gefunden hat ab und drei Minuten später habe ich schon die Antwort, dass es gefunden wurde. Ich rufe die Nummer an, die es fand. Derjenige ist gerade in der Abfahrt in den Ort, wo ich gerade bin. Ini und ich warten knapp eine halbe Stunde und dann kommt der freundliche Mitfahrer, gibt mir das Portemonnaie und wir können weiter. Es geht natürlich irgendwie den Berg hoch. Irgendwann kommt mir die Wegstrecke bekannt vor, weil Alex und ich die schon mal im Training abfuhren. Mittlerweile ist es dunkel, Ini und ich rollen durch die Nacht. An einem Friedhof holen wir nochmal Wasser (den hatten wir vorher schon gefunden, lag praktisch auf dem Weg) und dann ging es ins Dunkel der Nacht. Irgendwann taucht hinter uns mal wieder der Kameramann auf. Ini und ich hoffen beide, dass wir einfach fahren können und nicht für Interviews aufgehalten werden. Und so fahren wir weiter. Schön ist, dass Ini Baske ist und er viel von der Gegend, durch die wir fahren, schon kennt. Lustig ist immer, wenn er mitten in der Nacht dann erzählt, dass wir mal wieder durch einen total hübschen Ort fahren. Was uns in dem Moment total egal ist. Irgendwann sind wir soweit oben, dass es sehr neblig wird. Ich weiß, dass noch eine Hike your bike Passage geben wird. Wir kämpfen uns im Nebel und der Dunkelheit über den Wanderweg….irgendwann ist es vorbei. Es geht auf einen Trail und ich schlage vor, dass wir am Ende des Trails im Wald übernachten. Denn nach dem Wald kommt die Hochebene und die ist im Nebel nur bedingt gut zu schlafen. Nach 237km finden wir einen Schlafplatz im Wald, richten uns ein und schlafen ein.

Wir werden wach, weil andere Athleten quasi durch unser „Schlafzimmer“ latschen. Wir räumen zusammen und fahren los. Der Morgen ist klar und sonnig, der Nebel hat sich verzogen. Wir haben im Anstieg eine großartige Sicht auf die Pyrenäen. Es geht Richtung Süden, die Sonne brennt und mittags erfreuen wir uns in einem Ort an Cola und Joghurt. Es geht am Nachmittag mal wieder einen Anstieg rauf. Die Sonne brennt einem fast den Hintern weg und kein Lüftchen geht. Flo, der vor mir ist, schickt Fotos wie er irgendwo im Schatten Pause macht. Denn das Ziel des Tages ist es, noch durch die Wüste zu kommen.

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Um kurz vor 6 kommen wir in Melida an. Ini meint, wir sollten noch warten, bis es kühler ist, aber das Argument, dass es schon 6 sei und es dann irgendwann dunkel lässt uns in der Bar noch eine Fanta trinken und dann fahren wir auch schon los. Flo schrieb noch, dass er schon durch die Wüste ist. Ein Stück des Weges kenne ich schon vom Training.

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In der „goldenen Stunde“ durch die Wüste zu fahren ist wunderschön. Ini erzählt mir von seinen Erlebnissen in der Wüste (er hat mal in der Nähe gearbeitet). Es gibt dort auch eine Militärstation, an der wir aber nicht direkt vorbeikommen.

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An der „Pyramide“ machen wir Halt für Fotos, Flo ruft an und sagt, dass er im Ort hinter der Wüste in der Bar sitzt, schon den ersten Teller Nudeln gegessen hat und auf uns warten wird, denn er wolle auf jeden Fall noch einen zweiten Teller essen. Wir kommen an, vor Flo steht eine Batterie an leergetrunkenen Dosen und wir quatschen. Leider stellt sich raus, dass aus den Nudeln nichts wird, weil sie aus sind. Also wird die Alternative genommen: Tortilla auf Baguette. Flo ist völlig platt und will direkt im Ort schlafen, Ini und ich fahren durch die Nacht noch bis Alfaro weiter, wo wir neben dem Sportgelände einen wunderschönen Rasen zum Lagern finden.

Am kommenden Morgen geht um 4 der Wecker. Wir räumen die Sachen zusammen und es geht weiter. Tag drei. Es geht natürlich rauf, durch die Weinberge. Eine Passage, ca 600m, ist mehr Geröllpiste als irgendwie fahrbar. Als Alex und ich das Training fuhren, wurden wir auch noch zusätzlich von Fliegen belagert. Sie bringen um die frühen Morgenstunden wohl ihre Kinder zur Schule oder schlafen lieber aus, auf jeden Fall haben wir unsere Ruhe. Dafür nervt mich mein Rücken unendlich. Das Spielchen, das ich schon vom Swissman kenne, geht wieder los. Jeden Kilometer Füße an den Boden, aufdehnen und weiterfahren. Ini hat eine Engelsgeduld. Irgendwann, es ist noch Morgen, ändert sich das Gelände und wir fahren in ein ziemlich bewaldetes Gebiet. In dem Ort trinken wir mal wieder eine Fanta, Ini bleibt da für einen Teller Nudeln, ich fahre weiter. Es geht rauf und runter in einer wunderschönen Landschaft. Gegen Mittag geht es mal wieder den Berg hoch. Und der Körper sagt plötzlich, dass er keinen Bock mehr auf Rad fahren habe. Na gut, dann wird halt geschoben. Immer in Bewegung bleiben. Krise kann man auch im Gehen machen. Da kommt auch Ini wieder von hinten und wir fahren gemeinsam über die Bergkette, von Windrad zu Windrad und es ist einfach wunderschön. Auch, wenn die Steigungen so steil sind, dass man die letzten Meter wieder schieben muss. Irgendwann geht es runter. Nächster Ort. Im danebenliegenden Park tauschen Ini und ich die Bremsbeläge an meinem Rad – nachdem wir uns am lokalen Brunnen geduscht haben. Ini bleibt noch im Park zum Ausruhen, ich fahren weiter zu den „drei Zinnen“ – drei Anstiege kommen nun, ich dachte, der Name wäre passend. Den ersten Anstieg geht es tatsächlich komplett auf Asphalt hoch, den zweiten dann eher über Hoppelweg und Kuhwiese. Fast oben angekommen wird der Wahoo sehr unklar in der Wegführung. Bevor ich drüber nachdenke, was ich nun mache, hocke ich mich erst einmal hinter einen Baum und dann kommt auch schon Ini. Wir schlagen uns über einen quasi unfindbaren Weg durch den Busch. Wir sind endlos genervt von diesem Stück des Weges… Aber irgendwann ist auch das vorbei, wir fahren runter und im nächsten Ort kauft Ini noch schnell was ein und dann trinken wir in der lokalen Bar mal wieder eine Fanta, bevor es in der Abenddämmerung den nächsten Anstieg auf Asphalt raufgeht. Einen Plan, wie weit wir fahren wollen, haben wir nicht, deswegen fahren wir runter (auch auf Asphalt!) und es rollt einfach großartig. Es ist schon dunkel, der Mond geht auf und ich bin ein bisschen traurig, dass ich die Gegend, durch die wir gerade fahren, nicht im hellen sehen kann. Wir kommen durch ein Dorf, in dem auf der Straße Party gemacht wird. Als die Bewohner uns sehen, werden wir von allen angefeuert. Ich habe Tränen in den Augen, weil ich diese Anteilnahme so großartig finde. Wir fahren weiter bis zum Kloster. Dort sehe ich, dass Alex 10 Minuten früher ins Ziel kam! YEAH! Ini will am Kloster bleiben, ich will noch ein bisschen den Berg rauf. Es ist kurz vor Mitternacht, als ich mich auf den Weg machen. Ein kurzes Stück lässt sich noch fahren, dann muss ich schieben. Einen Berg im Dunkeln hoch, bei dem man nicht sieht, wie es weitergeht, ist für den Kopf echt übel. Und wenn man dann noch müde ist…aber irgendwann ist das steile Stück vorbei und ich kann weiterrollen. Die Nacht ist unglaublich mild, der Vollmond scheint, ich rolle über eine Hochebene mit Kühen und denke, dass ich nun mal meine Isomatte ausrollen sollte. Unter Tannen finde ich einen Platz und schlafe direkt ein. (es wäre ja auch mal voll schön gewesen, den Sternenhimmel ausgiebig zu bewundern, aber das gaben die Prioritäten nicht her ??)

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Drei Stunden später geht der Wecker. Es ist immer noch mild, hell vom Vollmond und ich denke, dass nur noch 150km vor mir liegen. Sollte ja nicht so schwierig sein. Es geht weiter den Berg hoch. Erst einmal fahrend, dann geht es ein bisschen runter und irgendwann stehe ich noch im Dunkeln vor einem Trail. Auf gar keinen Fall werde ich hier fahren, denn ich kann nur erahnen, dass es rechts ziemlich steil und weit den Berg runter geht. Also schieben. Dann kommt noch eine Hikeyourbike-Tragepassage. Und Ich sehe rechts neben mir den breiten Weg hochgehen und würde so gerne auf dem unterwegs sein anstatt mein Rad durchs Unterholz zu schieben. Ich kann mein Glück kaum fassen, als die Route mir dann tatsächlich anzeigt, dass ich auf den Weg darf und dort weiter hochfahren darf. So einfach kann man Menschen morgens in der Dämmerung glücklich machen! Irgendwann komme ich an dem Brunnen vorbei, der für Alex am Vortag ein wahres Labsal war und für mich das Zeichen, dass ich den Gipfel zu ¾ geschafft habe. Es geht weiter nach oben und es wird heller. Und ich genieße den Blick über eine großartige Landschaft. Dann endlich bin ich oben und es geht mal wieder runter. Erst über Schotter, dann ab der Skistation auf Asphalt. Aber nicht zu lange, dann geht es wieder einmal rechts den Berg rauf. Und so geht es weiter. Immer wieder habe ich Passagen, in denen der Weg zu steil wird zum Fahren und ich schieben muss. Ich zähle sehnsüchtig die Kilometer rückwärts und will einfach nur ankommen. Aber, das wird noch dauern… Irgendwann komme ich in ein Ebene und es rollt geschmeidig. Ich bin auf dem Camino und mir kommen unzählige Pilger entgegen. Aber irgendwann ist dieses geschmeidige Gerolle vorbei und es geht durch Weinberge. Es wird warm und Weinberge sind echt nicht mein Favorit, was Steigungen betrifft. Es geht ruppig rauf – und dann auch wieder runter. Zur Mittagszeit komme ich durch einen Ort. Der örtliche Brunnen lässt sich nicht finden und so spendiere ich mir selbst eine Flasche Wasser. Der Großteil wird direkt getrunken, der Rest zum Entsetzen der irgendwie Anwesenden über den Kopf gegossen. Und weiter. Wieder Weinberge in der Mittagshitze. Ich will in einen Kühlschrank! Irgendwann sind die Weinberge zuende und es geht wieder eher durch Wald. Fragt mich nicht, zu welchem Zeitpunkt. Dürfte so 80km vor dem Ziel gewesen sein. Auf einer Tragepassage ist Ini auch wieder da. Wir fahren gemeinsam weiter, erzählen uns vom Tag, sind aber in erster Linie darauf fokussiert, vorwärts zu kommen. Alex hatte mir noch die Nachricht geschickt, dass ich mir für den letzten Anstieg Energie aufheben sollte. Wir rollen weiter, durch einen Wald, über freies Gelände…nur noch 40 km…in einem Matschloch fängt sich Ini einen Platten ein. Im nächsten Ort halten wir und er flickt. Ich erinnere mich, dass in Okina die Zeit genommen wird und ab da es nur noch runter in die Stadt geht. Wir nähern uns Okina – aber, Alex hatte Recht: es war gut, sich etwas für die Meter am Fluss aufzuheben. Es geht leicht bergauf, der Weg ist mit großen Steinen ausgesetzt und kaum fahrbar, ich bin total müde und dann zieht ein starker Wind auf und ich habe wenig Bock auf noch nass werden. Ini zieht von dannen, was völlig ok ist. Dann taucht plötzlich von hinten ein anderer Athlet auf, der sich 1000mal entschuldigt, dass er mich jetzt überholt und aber er erklärt mir, dass er nicht mehr im Rennen sei. Ich muss so fertig aussehen, dass er mir sogar noch seine Banane anbietet. Die ich dankend ablehne. Ich schiebe, rolle, trage weiter das Rad über die Steine. Jedes Aufsteigen wird zur Qual, weil der Hintern so hinüber ist. Dann endlich komme ich in Okina an. Ich kann mein Glück kaum fassen, aber es geht auf der Straße die letzte Steigung rauf. Fast ein Klacks. Und ab oben rollt es für 12 km in die Stadt. Ich komme durch eine Siedlung (sie haben ihr eigenes Ortsschild, aber de facto stehen da zwei Häuser) und die Familien, die dort wohnen, feuern mich bei der Durchfahrt an. Ich habe Tränen in den Augen, weil ich das so lieb und großartig finde. Die letzten Kilometer durch die Stadt kenne ich schon von der Streckenbesichtigung. Wie immer ist es eigenartig, nach Tagen ohne Ampeln plötzlich wieder im Stadtverkehr zu sein. Ich wusele mich durch den Verkehr und komme im Ziel an. Alex wartet schon, Ini ist nur sechs Minuten vor mir angekommen. Wir umarmen uns, Fotos werden gemacht, ich darf mich auf einen Campingstuhl setzen und einfach mal atmen.

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Weil es ziemlich kühl ist, packen wir dann aber zügig die Sachen zusammen, Ini und ich verabschieden uns und Alex und ich fahren jeder im Stehen zurück in die Ferienwohnung. Geschafft! Eine Dusche bekommt nach so einem Abenteuer einen ganz anderen Stellenwert. Ebenso das Schlafen in einem Bett. Wobei ich nicht sagen kann, dass ich die Nächste schlecht geschlafen hätte. Aber es war immer ziemlich kurz.

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